Ein Bericht von Arne Seifert

Im Rahmen ihrer Mailand-Exkursion traf der Italienisch-Kurs des Scheffel-Gymnasiums auf die renommierte Anti-Mafia-Staatsanwältin Alessandra Cerreti.
Von der Schönheit Mailands konnten sich die Elft – und Zwölftklässler der Italienisch Grundkurse in Begleitung der Lehrkräfte Maria Spampinato und Philip Lejeune vier Tage lang ausgiebig überzeugen. Neben der Besichtigung des Mailänder Doms sowie von Da Vincis „Letztem Abendmahl“ stand auch ein Besuch des „Palazzo die Giustizia“ auf dem Programm, wo sie die Anti-Mafia-Staatsanwältin Alessandra Cerreti zu einem etwa zwei-stündigen Gespräch empfing.
Cerreti erzählte, dass sie als kleines Mädchen habe miterleben müssen, wie ihr eigener Vater beinahe einem Attentat der Mafia zum Opfer gefallen wäre, so die gebürtige Sizilianerin. Dieses Erlebnis sei sehr prägend für sie gewesen und habe sie dazu bewogen, sich voll und ganz dem Kampf gegen die italienischen Mafiaorganisationen zu verschreiben. Abbringen von dieser Idee ließ sie sich nicht. Auch nicht, als ihr damaliger Jura-Professor ihr riet, eher eine Karriere als Polizistin in Erwägung zu ziehen. Ihren Traum ließ sie sich nicht ausreden – ein wichtiger Rat, den sie auch den Schülern und Schülerinnen des Scheffel-Gymnasiums mit auf den Weg gibt.
Heute ist die 57-jährige eine der renommiertesten Anti-Mafia-Staatsanwältinnen Italiens. Sie leitet das Anti-Mafia-Dezernat in Mailand und kann, wie sie betont, wie ein Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen die Ermittlungen in diesem besonders sensiblen Bereich steuern. Indem sie Frauen und Kindern den Ausstieg aus der Mafia ermöglichte und zur Kooperation mit der Justiz bewog, konnte sie etliche Mafiosi vor Gericht bringen, da die Kriminellen von ihren Verwandten belastet wurden. Von diesem Engagement Cerretis in der Vergangenheit erzählt die preisgekrönte Serie „The Goodmothers“ von Alex Perry.
Doch ihr Ruhm fordert seinen Preis – drei Carabinieri, die eigens für ihre Eskorte abgestellt sind, folgen der Anwältin auf Schritt und Tritt. Ihre Wohnung darf sie nur nach sorgfältiger Sicherheitsprüfung durch die Polizisten betreten. „Meine Nachbarn beschweren sich oft über die Polizeifahrzeuge und Poller, die die Anwohnerparkplätze belegen“, erzählt Alessandra Cerreti schmunzelnd.
Mailand selbst ist aufgrund seines Reichtums und der dort ansässigen Wirtschafts- und Finanzunternehmen ein heißes Pflaster für die Mafia. In den jüngsten Prozessen konnte Cerreti nachweisen, dass die drei großen Mafiaorganisationen Italiens – `Ndrangheta, Cosa Nostra und Camorra in der Lombardei eine Art Konsortium gebildet haben und nun in Mailand im Verbund ihr Unwesen treiben. So agiert die Mafia in Mailand etwa im Drogengeschäft, aber auch im Baugewerbe und in vielen anderen Wirtschaftszweigen.
Auch wenn die Mafiaorganisationen im Kern ihren Machtstrukturen treu blieben, hätten sie sich in den letzten Jahrzehnten rapide verändert, erklärt Cerreti. Einerseits hätten sie expandiert und trieben mittlerweile ihr Unwesen in ganz Europa, vor allem in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Andererseits passten sie sich an den technologischen Fortschritt an: „Telefonüberwachung ist fast unmöglich geworden, da die Mafiosi verschlüsselte Handys nutzen“. Es bräuchte eine Spezialeinheit, die die Kriminellen beschattet, um die Spionagesoftware auf deren Mobiltelefonen zu installieren.
Cerretis Erfolg schmälert dies keineswegs. Die von ihr unterstützte Organisation „Liberi da scegliere“, die Mitgliedern den Absprung aus den Mafiastrukturen ermöglichen soll, ebnete in den letzten Jahren 84 Frauen wie Kindern den Ausweg aus der Welt der Mafia. Erst in den vergangenen Tagen sei es geglückt, eine Mutter und ihre Kinder in die Freiheit zu überführen, wie die 57-jährige stolz Preis gibt.
Trotz ihres Erfolges sieht sie sich auch immer wieder öffentlichen Angriffen ausgesetzt.
So konstituierte sich ein Untersuchungsausschuss im italienischen Parlament, der ihr vorwarf, Ehefrauen von Mafiabossen zu Falschaussagen gezwungen zu haben. Des Öfteren komme es vor, dass sich Richter weigerten, ihre Anklagen zuzulassen. Im Falle der jüngsten Prozesse rund um den Zusammenschlusses der drei mächtigsten Organisationen in Mailand war dies fatal, da der Richter sich medienwirksam weigerte, den Fall zu verhandeln. Sie musste bis vor das Oberste Gericht ziehen, um sich das Recht zu erstreiten, den Fall vor Gericht zu bringen. Diese Vorgänge wecken dunkle Erinnerungen an das Schicksal Giovanni Falcones, den berühmtesten und erfolgreichsten Gegner der italienischen Mafia, der sich in seiner Richtertätigkeit ebenfalls Frontalangriffe aus Justiz und Politik ausgesetzt sah. Falcone kam schließlich bei einem Attentat durch die Mafia ums Leben
Von einem ähnlichen Schicksal ereilt zu werden, fürchte sie nicht, so Cerreti.
Angesprochen auf den Umstand, dass ihr Beruf dennoch einige Gefahren mit sich bringe, entgegnet sie: „Ich habe entschieden, keine Angst zu haben“.
Lediglich um ihre Familienangehörige sorge sie sich, so wurde beispielsweise in der Vergangenheit bereits ihre Nichte bedroht. Vorfälle dieser Art sind jedoch an Cerretis Tagesordnung. Einmal habe ein angeklagter Mafiosi in einer online stattfindenden Gerichtsverhandlung zwei Äpfel vor sich auf dem Tisch platziert – eine subtile Drohung, denn die Form der Frucht sollte eine Bombe symbolisieren. Ein anderes Mal habe sich ein Angeklagter zu ihr gewandt und sich bekreuzigt – als sei die Staatsanwältin bereits dem Tode geweiht. Die Mafia drohe niemals direkt, sondern vermittle ihre Drohungen über Symbole und Gesten. Trotz all der Gefahren liebt Cerreti ihren Beruf, den sie als ihre Passion bezeichnet und zitiert voll Hoffnung den berühmten Satz von Giovanni Falcone: „Die Mafia ist ein menschliches Phänomen. Wie bei allen menschlichen Erscheinungen gibt es ein Anfang und ein Ende.“
