„Das ist gelebte deutsche Geschichte“ – ein Interview mit Frau Götz über Mario Röllig und seine Geschichte
Von Lea Zanger
Am Montag, den 13.11.2017 ist es für die Abiturienten soweit: kein regulärer Unterricht in der fünften und sechsten Stunde! Wer sich jetzt schon über Freistunden gefreut hat, muss man jetzt leider enttäuschen. Oder auch nicht; denn immerhin werden sie dann von einem echten Zeitzeugen über die deutsch-deutsche Geschichte „unterrichtet“. Das Scheffel darf auch dieses Jahr den DDR-Zeitzeugen Mario Röllig begrüßen, der in diesem Jahr nicht nur über die Schikane des DDR-Regimes berichtet, sondern auch zwei Tage später, am Mittwoch, den 15.11.2017, seinen Film „Ost-Komplex“ im FORUM Lahr präsentiert. Im Voraus ließ sich die Initiatorin der Veranstaltungen, die ehemalige Scheffel-Lehrerin Frau Götz, von unserer Schülerreporterin über Mario Röllig und seine Geschichte interviewen.
Lea: Wie sind Sie auf Mario Röllig aufmerksam geworden?
Frau Götz: Das war im Juli 2005, als Herr Weingärtner und ich auf Berlinfahrt mit dem Seminarkurs „Stadt“ waren. Die Idee zur Gedenkstätte Hohenschönhausen, dem ehemaligen Stasi-Untersuchungsgefängnis zu gehen kam auch von ihm. Er hatte dort bereits einmal an einer beeindruckenden Zeitzeugenführung teilgenommen. Der Führer bei unserer Zeitzeugen-Veranstaltung war damals rein zufällig Mario Röllig. Für die Schüler waren seine Schilderungen sehr anschaulich und ergreifend. Sie konnten sich plötzlich vorstellen, welche Schattenseiten der andere deutsche Staat, die sogenannte „Deutsche Demokratische Republik“, hatte. Aufgrund unserer eigenen Eindrücke und der sehr positiven Schülerreaktionen ist es uns dann schließlich gelungen, Mario Röllig für Vorträge ans Scheffel-Gymnasium zu holen und auch an die anderen Lahrer Gymnasien zu vermitteln.
Lea: Was hat Sie persönlich an seiner Geschichte bewegt bzw. interessiert?
Frau Götz: Es ist natürlich ein hartes Schicksal, wenn man mit nicht einmal 20 Jahren als unpolitischer Mensch zum politischen Häftling wird. Mario Röllig war damals im ähnlichen Alter wie Abiturienten heute, als er wegen der Schikanen des „Geheimen Staatssicherheitsdienstes“ einen Fluchtversuch wagte und dabei gefangen genommen wurde. Grund für die Schikanen: er weigerte sich, einen Freund zu bespitzeln und zu denunzieren. Es hat mich sehr bewegt, dass das totalitäre System einen so jungen Menschen einer solchen Maschinerie aus Bedrohung, Einschüchterung und Isolierung und schließlich regelrechter Psychofolter aussetzte, um seine Macht zu demonstrieren und die Persönlichkeit zu „brechen“. Beeindruckend finde ich, wie Mario Röllig mit den Folgen der traumatischen Erlebnisse umgeht und aktiv, mit den Zeitzeugenführungen und
Öffentlichkeitsarbeit, im Bereich der politischen Bildung gegen das Vergessen des Unrechtes kämpft und trotzdem positiv in die Zukunft blickt.
Lea: Was erwarten Sie von der Filmveranstaltung?
Frau Götz: Ich hoffe, dass durch den Film und das persönliche Schicksal von Mario Röllig das Interesse vieler, gerade jüngerer Menschen an der Aufarbeitung des Unrechtes geweckt wird. Es ist schließlich schon etwas länger her, dass Mauer und Stacheldraht verschwunden sind. Ich habe wiederholt bei Zeitzeugenführungen mit Herrn Röllig erlebt, dass die Schüler sagten: „Für mich war das bis jetzt nur eine Zahl aus dem Geschichtsunterricht, aber jetzt kann ich mir vorstellen, wie das war…“, meist auch, wenn wir an einem Stück stehen gelassener Mauer mit all den Abwehrvorrichtungen standen.
Lea: Welche Entwicklung hat er gemacht, seit Sie ihn kennen?
Frau Götz: Mit diesen Führungen in der Gedenkstätte Hohenschönhausen versucht er seine traumatischen Erlebnisse aufzuarbeiten, die ihn zeitweise zu Selbstmordversuchen getrieben haben. Ich habe ihn 2005 als einen Menschen erlebt, von dem mir bald klar war, dass er noch vieles von dem Trauma der Untersuchungshaft in sich trägt. Seit einigen Jahren bemerke ich, dass er immer selbstbewusster mit dem Thema umgeht. Inzwischen arbeitet er bei Institutionen der politischen Bildung als Referent, tritt im bei Diskussionssendungen im Fernsehen auf, gibt Radiointerviews und hält beachtenswerte Vorträge bei politischen Institutionen. Ich stelle auch fest, dass er zunehmend größere Distanz zum Vergangenen bekommt, aber nicht vergisst. Mit bemerkenswerter Energie setzt er sich für die Opfer des Stalinismus ein.
Lea: Was denken Sie, hat Mario Röllig hier an der Schule mit seinen Vorträgen bewegt?
Frau Götz: Mario Rölligs Schicksal steht exemplarisch für ein dunkles Kapitel der ostdeutschen Nachkriegsgeschichte. Bei den Schülern hat er bewegt, dass sie sich mit dem Thema befassen und begreifen, dass das deutsche Geschichte ist, die gerne vergessen und auch von ganz bestimmten Kreisen, den Profiteuren von damals, gerne vertuscht wird. Davon wird er auch in seinem Vortrag berichten. Ich hoffe auch, dass am Beispiel seines Schicksals klar wird, wie wichtig es gerade heute ist, unsere demokratischen Rechte zu verteidigen.
Lea: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dass sein Film gut in unser Jubiläumsjahr passt?
Frau Götz: Mario Rölligs Vorträge sind zur Tradition am Scheffel-Gymnasium geworden und als ergänzendes Highlight passt der Film sehr gut, neben einem Vortrag, ins Jubiläumsjahr. Der Freundeskreis der Schule feiert sein vierzigjähriges Bestehen und ermöglicht finanziell die Veranstaltung. Der Film ist also auch Teil dieses Jubiläums.
Lea: Hat sich durch Ihre Bekanntschaft mit Mario Röllig Ihre Sicht auf die DDR-Geschichte verändert?
Frau Götz: Eigentlich hat sich meine Sicht darauf gar nicht geändert. Ich war als Jugendliche über die damals gängigen Medien wie Radio und Fernsehen schon recht gut über die real existierenden beiden deutschen Staaten informiert. Was sollte ich von einem Staat halten, der seine Bürger durch Stacheldraht, Selbstschussanlagen und bewaffnete, schussbereite Grenzsoldaten, und schließlich ab 1961 durch eine Mauer in Berlin daran hindert, das Staatsgebiet zu verlassen? Radiointerviews mit DDR-Flüchtlingen, die nachts im Gewehrfeuer der Grenzsoldaten durch die Spree geschwommen sind, habe ich noch im Gedächtnis. Ich erinnere mich noch an Filmaufzeichnungen darüber, wie man schwer verletzten Flüchtenden auf DDR-Territorium Hilfe verweigert hat, sodass diese schließlich verbluten mussten. Letztendlich habe ich durch Mario Röllig mehr Detailkenntnisse über den Umgang mit den zahlreichen politischen Gefangenen.
Lea: Was wünschen Sie sich für Mario Röllig?
Frau Götz: Ich wünsche ihm viel Erfolg im Kampf gegen das Vergessen und eine stabile Gesundheit.
Lea: Vielen Dank für das Interview. Bis zur Filmveranstaltung!
Also, wessen Interesse jetzt geweckt wurde oder einfach nur mal wieder ins Kino will:
„OST-KOMPLEX“ MIT MARIO RÖLLIG AM MITTWOCH, DEN 15.11.2017 UM 19.30 UHR IM FORUM LAHR. (Die Arbeitsgruppe „Jubiläum“ freut sich auf zahlreiche Besucher!)
Weitere Infos und Karten: https://www.forumcinemas.de/de/programm/kinoprogramm/film/der-ost-komplexfilmgesprch-mit-mario-rllig/id/151117